Spürbare Entlastung für Pflegekräfte
Diakonie Stiftung Salem präsentiert erste Forschungsergebnisse zum Einsatz von Exoskeletten in der Pflege
Pflegekräfte tragen nicht nur viel Verantwortung, sondern häufig auch großes Gewicht auf den Bandscheiben. Der Beruf ist körperlich fordernd, kein Wunder also, dass Muskel-Skelett-Beschwerden nach wie vor zu den häufigsten Erkrankungen von Pflegekräften zählen. Vor genau einem Jahr haben deshalb die Diakonie Stiftung Salem, der WohnXperium e.V., die bkk melitta hmr und die Firma Help Tech die erste Langzeitstudie zum Einsatz von Exoskeletten in der Pflege gestartet. Die Projektpartner wollten herausfinden, ob ein körpernahes mechanischen Stützsystem Pflegekräfte in ihrer Arbeit entlasten kann und so langfristig gesundheitlichen Problemen vorbeugt. Bei einer Abschlussveranstaltung im Mutterhaus der Mindener Diakonie wurden die Forschungsergebnisse nun erstmals präsentiert.
Forschungsziele und Hintergründe
„Wir möchten unsere Kolleginnen und Kollegen in ihrer Arbeit unterstützen und dazu beitragen, dass sie langfristig gesund und fit bleiben“, sagte Carsten Wöhler, Leiter des Geschäftsbereichs Pflege & Leben bei der Diakonie Stiftung Salem. Der Pflegemanager erhofft sich von den Forschungsergebnissen einen neuen Ansatz, um Pflegekräfte präventiv zu entlasten. Dass der Bedarf branchenweit groß ist, machte Patrik Kasparak, Abteilungsleiter für das Gesundheitsmanagement bei der bkk melitta hmr, deutlich. Zahlen der Krankenkasse zeigen, dass gerade bei älteren Beschäftigten Erkrankungen des Bewegungsapparates zunehmen, die oft zu langen Ausfallzeiten führen. „Von den Arbeitsunfähigkeitstagen entfallen in der Altersgruppe der über 55-jährigen rund 65 Prozent auf Langzeit-Arbeitsunfähigkeiten von mehr als 42 Tagen. Diese Entwicklung verdeutlicht die Auswirkungen der körperlich anstrengenden Tätigkeit in der Pflege“, so Patrik Kasparak. Die Krankenkasse, die die Pilotstudie finanziert hat, arbeitet seit 2019 mit der die Diakonie Stiftung Salem im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements zusammen.
Aufbau und Design der Studie
An der Feldstudie nahmen 11 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der stationären Pflege der Diakonie Stiftung Salem teil. Während des mehrwöchigen Untersuchungszeitraums protokollierten die Probandinnen und Probanden täglich ihre Erfahrungen und füllten zusätzlich wöchentlich standardisierte Fragebögen aus. Nach einer grundlegenden Einweisung arbeiteten die Teilnehmenden zunächst eine Woche lang ohne Exoskelett. Darauf folgte eine 50-tägige Interventionsphase mit Exoskelett, in der die Probandinnen und Probanden das Stützsystem möglichst dauerhaft im Arbeitsalltag trugen. Daran schloss sich eine 20-tägige Untersuchung ohne Nutzung des Exoskeletts an. Neben den Belastungen und körperlichen Beschwerden am Arbeitsplatz wurden auch Akzeptanz, Gebrauchstauglichkeit und Handhabung des Exoskeletts untersucht.
In der Studie kam das „BionicBack“ der Firma Help Tech zum Einsatz. Das passive Exoskelett nutzt biomechanische Prinzipien, um Pflegekräfte gezielt zu entlasten und die Belastung des unteren Rückens um bis zu 30% zu reduzieren. „Durch den Einsatz von Widerstandsbändern und einer bionisch nachempfundenen Rückenstruktur wird die Muskulatur unterstützt, der Rücken gestützt und eine ergonomische Arbeitsweise gefördert“, erklärte Business Managerin Carolin Mühle, bei einer Demonstration auf der Abschlussveranstaltung. Die ergonomisch geformte Rückenstruktur orientiert sich an der natürlichen Krümmung der Wirbelsäule und stützt den Körper gezielt, ohne die Bewegungsfreiheit unnötig einzuschränken. Integrierte Elastomer-Widerstandsbänder übernehmen einen Teil der Belastung, indem sie Kräfte aufnehmen und umleiten. Sie entlasten die Rückenmuskulatur insbesondere bei statischen oder vorgebeugten Haltungen sowie in der Hocke. „Pflegekräfte können ihre Tätigkeiten uneingeschränkt ausführen, während das Exoskelett gezielt bei kritischen Bewegungen unterstützt“, so Carolin Mühle.
Verbesserte Bewegungsmuster, weniger Schmerzen
„Die Ergebnisse der Pilotstudie deuten auf eine positive Wirksamkeit des Exoskeletts auf die Rückengesundheit von Pflegekräften hin“, fasste Danny Rüffert, Wissenschaftler an der Professur für Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement der TU Chemnitz zusammen. „Innerhalb der zehnwöchigen Tragezeit des Exoskeletts haben sich die Beschwerden der Teilnehmenden im unteren Rücken, oberen Rücken, Schulter sowie Nacken reduziert. Weiterhin erklärten sie unter weniger arbeitsbedingten Schmerzen zu leiden und fühlten sich weniger belastet“, so Danny Rüffert. Aufgrund der Funktionsweise des Exoskeletts passten die Teilnehmenden ihre Bewegungsmuster und Routinen an, so dass bekannte körperliche Fehlhaltungen vermieden wurden. Das Exoskelett unterstützt insbesondere bei Transferaufgaben und Tätigkeiten am Bett. Nur hinsichtlich des Tragekomforts sahen die Studienteilnehmenden noch Verbesserungsbedarf. „Bemängelt wurden beispielsweise erhöhtes Schwitzen an Stellen, an denen das Exoskelett am Körper anliegt oder teilweise Druckstellen im Schulterbereich“, sagte Danny Rüffert. „Auf die negativen Kritikpunkte wurde bereits reagiert und ein neues 3D gedrucktes Polster, sowie zusätzliche Schulterpolster entwickelt“, erklärte Carolin Mühle.
Chancen für die Pflegebranche
Simone Lawrenz, Beauftragte für das Betriebliche Eingliederungsmanagement bei der Diakonie Stiftung Salem, sieht in den Studienergebnissen eine große Chance für belastete Pflegekräfte. „Exoskelette können ein wichtiger Baustein in der Gesundheitsprävention und eine Antwort auf den Pflegenotstand werden“, betonte Simone Lawrenz. Sie hofft, dass dank der Forschungsergebnisse auch Kostenträger das Potenzial der Exoskelette erkennen und die Finanzierung für vorerkrankte Pflegekräfte so erleichtert wird. Danny Rüffert unterstreicht diese Perspektive. „Die erzielten Ergebnisse zeigen das Potenzial von Exoskeletten, um Rückenleiden zu verringern oder sogar zu verhindern. Dies könnte die Pflegearbeit langfristig erleichtern und die Gesundheit der Pflegekräfte nachhaltig fördern“, so der Forscher.